Interview mit Miriam Hoheisel, Geschäftsführerin des Bundesverbands alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV)
Der letzte Monitor Familienforschung des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) mit dem Titel „Alleinerziehende in Deutschland – Lebenssituationen und Lebenswirklichkeiten von Mütter und Kindern“[1] leitet aus der Vielzahl von Lebenslagen Alleinerziehender die Aussage ab, dass es sich hierbei eher um eine Lebensphase als um eine Lebensform handele. Frau Hoheisel, ist die Fokussierung auf „alleinerziehend“ in Politik und Unternehmensstrategie folglich überflüssig?
Nein, eine bessere Politik für Alleinerziehende ist weiter notwendig! Die Hälfte der Alleinerziehenden bleibt länger als acht Jahre in dieser Lebensform, das ist mehr als eine Phase. Besonders vor dem Hintergrund, dass Alleinerziehende und ihre Kinder das höchste Armutsrisiko aller Familien haben. Das ist eine dringende politische Herausforderung und zwar quer durch die Felder Familien-, Arbeitsmarkt-, Steuer-, Sozial- und Bildungspolitik. Familienpolitik braucht einen roten Faden, der fürs ganze Leben hält. Widersprüche zu Lasten von Alleinerziehenden müssen aufgelöst werden, etwa zwischen Ehegattensplitting und Unterhaltsrecht. Wir setzen uns dafür ein, Kinder zur fördern, egal wie ihre Eltern leben: Kindergrundsicherung in Kombination mit einer Individualbesteuerung.
Was sollten Arbeitgeber über die Herausforderungen Alleinerziehender bei der Alltagsgestaltung wissen, wenn Sie insgesamt auf eine Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzten?
Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen. Alleinerziehende stemmen allein, was Zweielternfamilien gemeinsam bewältigen: Beruf, Kindererziehung und Haushalt. Fehlende Kinderbetreuung oder ein Kitaplatz, der nicht zu den Arbeitszeiten passt, ist immer noch ein Problem. Viele Alleinerziehende haben ein gutes soziales Netz. Der Alltag ist genau durchgetaktet. Statt latent eine mangelnde Flexibilität und Belastbarkeit zu unterstellen, sollten Arbeitgeber sich klar machen, dass gerade Alleinerziehende eine hohe Erwerbsorientierung haben. Sieben von zehn Alleinerziehenden gehen arbeiten, fast die Hälfte sogar in Vollzeit, deutlich mehr als Mütter in Paarfamilien. Alleinerziehende als Familienernährerinnen sind sehr motiviert, verlässlich und zeigen viel Eigeninitiative. Das Organisieren des Familienalltags neben dem Beruf setzt ein hohes Maß an Organisationstalent und sozialen Kompetenzen voraus. Diese bringen alleinerziehende Mütter und Väter mit in das Berufsleben ein, davon profitieren auch die Unternehmen, für die sie arbeiten.
Brauchen Alleinerziehende eine besondere Unterstützung oder eine besondere Ansprache?
Eine gute Vereinbarkeit ist für alle Mütter und Väter existenziell, die aktiv Familienaufgaben übernehmen. Dafür wünschen sie sich die Unterstützung ihrer Arbeitgeber, egal ob sie in Ein- oder Zweielternfamilien leben. Flexible Arbeitszeiten spielen hierbei eine besonders wichtige Rolle. Wichtig ist, dass die Beschäftigten bei Lage und Ort der Arbeitszeit mitreden können um Arrangements zu finden, die für das Unternehmen wie für die Beschäftigen passen. Es muss möglich sein, eine Lösung zu finden, wenn der Kindergarten erst um acht aufmacht und die Arzthelferin um acht in der Praxis sein soll. Immer mehr Unternehmen mit besonders frühen oder späten Arbeitszeiten oder Wochendendarbeit bieten auch eine betriebliche Kinderbetreuung an. Das ist eine positive Entwicklung, die für Alleinerziehende besonders wichtig ist. Genauso notwendig ist die Planbarkeit und Verlässlichkeit von Vereinbarungen. Mit ausreichend Vorlauf können auch Alleinerziehende Termine möglich machen, die bis in den späten Abend gehen. Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten mit Notfallbetreuungsangeboten unterstützen und entlasten, gehen mit gutem Beispiel voran. Unternehmen haben vielfältige Möglichkeiten, den zeitlichen Bedürfnissen von Alleinerziehenden zu begegnen, um im Gegenzug von deren Engagement und Kompetenzen zu profitieren.
Welche die Vereinbarkeit unterstützenden Maßnahmen sollten Arbeitgeber auf jeden Fall anbieten?
Flexible Arbeitszeiten, Telearbeit oder Home Office, Notfallbetreuungsangebote sind besonders wichtig. Ganz grundsätzlich braucht es aber auch ein Umdenken in der Unternehmenskultur: Statt (langer) Anwesenheit im Büro muss das Ergebnis zählen, das am Schluss rauskommt! Das würde nicht nur Müttern und Vätern, sondern dem ganzen Betrieb zu Gute kommen. In der Praxis sind die Führungskräfte gefragt, Vereinbarkeit mit Leben zu füllen. Unternehmen sollten ihre Führungskräfte hier erstens befähigen und zweitens nicht vergessen, dass auch ihre Führungskräfte noch Zeit für ihre eigene Familie haben wollen, egal ob Frauen oder Männer.
Arbeitgeber sollten in der mittelfristigen Stellenplanung berücksichtigen, dass Beschäftigte mit Kindern nicht langfristig in Teilzeit bleiben wollen, sondern in der Regel wieder aufstocken wollen, wenn die Kinder größer sind. Das gilt besonders für Alleinerziehende: Der Großteil kommt aus einer Trennung und Scheidung, viele haben als Vereinbarkeitsmodell in der Partnerschaft in Teilzeit gearbeitet. Als Familienernährerinnen brauchen sie meistens einen höheren Arbeitsumfang, um für das Auskommen zu sorgen. Eine Krankenschwester oder Verkäuferin kann nicht sich und ihre Kinder mit einer halben Stelle ernähren. Generell wünschen sich viele Mütter und besonders Väter, statt Überstunden zu schieben, lieber eine verkürzte Vollzeit zu arbeiten, also zwischen 30 und 35 Stunden die Woche.
Vielen Dank für das Interview!
Internetseite des VAMV: https://www.vamv.de/