In der Diskussion um die Wirksamkeit des Instrumentariums gegenwärtiger Familienpolitik ist ein Ende nicht absehbar. Wurde der Lohnersatzcharakter des Elterngeld von vielen als Meilenstein auf dem Weg zur finanziellen Unabhängigkeit von Frauen empfunden, treten wieder verstärkt Kritiker auf den Plan.
Denn das Elterngeld sei weder eine Gewähr für Chancengleichheit noch eine Garantie für die Wahlfreiheit des Familienmodells. Sogar das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe muss sich mit dem Vorwurf befassen, es sei ungerecht. Während zum Beispiel die zuvor besser verdienende Mutter vom Staat 1800 Euro Elterngeld als „Lohnersatzleistung“ bekommt, erhält eine Studentin nur 300 Euro.
Als Gegengewicht zum Elterngeld sollen Familien nun ab 2013 ein Betreuungsgeld bekommen, wenn sie ihre ein- und zweijährigen Kinder selbst erziehen. Auch dazu wurden bereits kritische Stimmen laut.
Die aktuelle Diskussion um Erziehungs-, Eltern- oder Betreuungsgeld hat ihre Ursprünge in einer Zeit, als noch keines dieser Instrumente tatsächlich Gegenstand realpolitischer Forderungen gewesen wäre. Aber deren theoretische Grundlagen und die politische Argumentation wurden bereits um die vorletzte Jahrhundertwende entwickelt und veröffentlicht.
Die schwedische Reformpädagogin Ellen Key (1849-1926) beispielsweise forderte vor mehr als hundert Jahren bereits die gesellschaftliche Anerkennung der Erziehungsarbeit sowie die ökonomische Absicherung der erziehenden Mutter. Bekannt wurde sie vor allem durch ihr Buch „Das Jahrhundert des Kindes“, das im Jahr 1902 auf Deutsch erschien. Neben ihren Vorstellungen von der Würde und Individualität des Kindes, die bald Eingang in die Pädagogik fanden und Veränderungen im damaligen Bildungs- und Erziehungswesen in Gang setzten, entwickelte sie zugleich eigene Ansätze zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kindererziehung.
Die schwedische Reformpädagogin Ellen Key (1849-1926)
Frauenpolitisch vertrat sie zwar eher gemäßigte Positionen, nahm aber vieles von dem vorweg, was heute gesellschaftliche Realität geworden ist. Wäre das Betreuungsgeld heute eine Reform der Reform, nämlich eine Korrektur der durch das Elterngeld verursachten Ungleichhbehandlung, so waren Ellen Keys Gedanken zu ihrer Zeit nachgerade revolutionär und utopisch: Die selbstverständliche Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen, der Vater nicht mehr nur der Familienversorger, sondern gleichberechtigt mit der Mutter in einer aktiven Rolle als „Erzieher“ seiner Kinder, die Erleichterung der Hausarbeit „durch Elektrizität und Maschinen“ und durch Anbieter haushaltsnaher Dienstleistungen, die Wahlfreiheit der Lebensentwürfe.
Ihre Antwort auf eine notwendige Neuordnung des Geschlechterverhältnisses im Zusammenhang mit diesen Modernisierungsprozessen lautete: Aufwertung und größere Anerkennung der Erziehungsarbeit durch die Gesellschaft. Ihrer Einschätzung nach würde sich die Mutter in der Regel selbst um die Erziehung der Kinder sorgen wollen und „darum sollte sie während der wichtigsten Erziehungsjahre gänzlich von der Erwerbsarbeit befreit sein“ und „von der Gesellschaft“ einen „Erziehungsbeitrag“ in Form eines eigenen Einkommens erhalten, das so bemessen sein sollte, dass es sie vom Mann unabhängig macht. Bei eigener Erwerbstätigkeit könne Sie sich so eine „Stellvertreterin in der Pflege“ verschaffen.
Ellen Key hat künftige Entwicklungen grundgelegt und vorausgesehen, ob sie aber ahnen konnte, dass es uns im Jahre 2011 immer noch nicht gelungen sein würde, die Stellschrauben der Familienpolitik so zu justieren, dass es Frauen heute gut gelingt, Familie und Beruf vereinbaren oder finanziell abgesichert selbst die Pflege kleiner Kinder zu übernehmen? Ganz gewiss wäre sie erstaunt, welch hohen Stellenwert die Familienpolitik im heutigen Deutschland hat und wie leidenschaftlich über Kinderlosigkeit und Kinderbetreuungsinfrastruktur, Transferleistungen und Familienfreundlichkeit, Mütterklischees und Vätermonate debattiert wird.