Interview zur geplanten Novellierungen des Bundesgleichstellungsgesetzes

Interview mit Arn Sauer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Gender Mainstreaming der Gleichstellungsbeauftragten des Umweltbundesamtes

Das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) wurde bereits 2001 für den Bereich des Bundes verabschiedet. Gleichwohl sind auch im öffentlichen Dienst – wie allenthalben bekannt – Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert. Im Koalitionsvertrag wurde deshalb beschlossen, die proaktive Umsetzung des BGleiG weiter zu befördern. Im Ergebnis soll nun das BGleiG novelliert werden. Der Arbeitskreis der Gleichstellungsbeauftragten Berlin ruft zu einem Verzicht auf die Novellierung des BGleiG in der jetzt vorliegenden Form auf. Sie enthalte, so die einhellige Einschätzung, gravierende Verschlechterungen.

Herr Sauer, was sind die zentralen Kritikpunkte an der geplanten Neufassung des BGleiG?

In der augenblicklichen Fassung gibt es wenige Verbesserungen, dafür aber zentrale Verschlechterungen, wie die sogenannte „Geschlechteransprache“. Damit ist gemeint, dass je nach Stand der Gleichstellung „das Geschlecht angesprochen und gefördert“ werden soll, „das in den einzelnen Bereichen benachteiligt beziehungsweise unterrepräsentiert ist“. Also Frauen und Männer. Zudem soll der Begriff der Diskriminierung durch den Begriff der Benachteiligung ersetzt werden und die Handlungsspielräume der Gleichstellungsbeauftragten werden deutlich eingeschränkt. Gleichstellungsbeauftragten werden Fristen gesetzt für Voten, gleichzeitig ihre Beteiligung jedoch nicht gestärkt. Gleichstellungsbeauftragte sollen nicht mehr bei allen personellen, organisatorischen und sozialen „Angelegenheiten“, sondern nur noch bei „Maßnahmen der Dienststelle“ mitwirken.

Vor allem aber soll es kein erweitertes Klagerecht für Gleichstellungsbeauftragte geben, eine der Hauptforderungen für eine Novelle. Der Gleichstellungsplan bleibt ein zahnloser Tiger, da das Nichterreichen von Zielen – außer der Aufführung der Gründe hierfür – keine Konsequenzen hat. All dies schränkt den proaktiven Handlungsspielraum der Gleichstellungsbeauftragten ein und zwingt ihnen eine passiv-reaktive Haltung auf.

Ich persönlich als Wissenschaftler halte auch für bedenklich, dass der Überarbeitung des BGleiG keine aktuelle datenbasierte, umfassende Bestandsaufnahme zugrunde lag. Der Zweite Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz von 2010 ist veraltet. Gemäß § 25 BGleiG soll alle vier Jahre ein Erfahrungsbericht erstellt werden, was in 2014 unterblieb.

Lassen Sie uns mal genauer auf die einzelnen Kritikpunkte eingehen und starten wir mit der Kritik an Begrifflichkeiten. Warum denken Sie, ist es nach wie vor besser, von Diskriminierung als von Benachteiligung zu sprechen?

So soll eine Parallele zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz [AGG] hergestellt werden, das auch von „unmittelbarer Benachteiligung“ für direkte Diskriminierung bzw. „mittelbarer Benachteiligung“ für indirekte bzw. strukturelle Diskriminierung spricht. Durch die Vereinheitlichung der Sprache soll wohl eine bessere Verzahnung der beiden Rechtsnormen vorangetrieben werden. Schon bei Einführung des AGG in 2006 herrschte jedoch bei Betroffenenverbänden Enttäuschung über die relativ weiche, abmildernde Formulierung „Benachteiligung“. Sie hatten das Gefühl, dass die Schwere und das Ausmaß des erfahrenen Unrechts und der Ungleichbehandlung darin nicht zum Ausdruck kommen. Zudem bleibt der Begriff der Benachteiligung hinter den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Begrifflichkeiten zurück. Die soziologische und Antidiskriminierungsforschung sowie Theoriebildung sprechen von „Diskriminierung“, was als Konzept transdisziplinär ausgestaltet ist. Auch bietet er anders als der Begriff der Benachteiligung konkrete Anhaltspunkte zur Ableitung von Maßnahmen, die helfen, Diskriminierung abzubauen.

Der Gesetzesentwurf will neben der Parität für Frauen nun auch Parität für Männer herstellen. Die Verfasserinnen und Verfasser des Entwurfs begründen dies mit einem modernen Verständnis von Gleichstellungspolitik. Kritiker sehen mit dieser Geschlechteransprache jedoch die Gleichstellungsarbeit grundsätzlich verwässert, ja geradezu konterkariert. Inwiefern tut sie dies?

Es stimmt, dass es Arbeitsbereiche wie Gesundheits-, Pflege und Erziehungsberufe gibt, in denen Männer unterrepräsentiert sind. Das liegt allerdings weniger an ihrer strukturellen Diskriminierung – hierfür gibt es keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte. Sondern es ist vielmehr auf die schlechte Bezahlung zurückzuführen – also den Druck, das Gros des Familieneinkommens verdienen zu müssen – und auf Geschlechterstereotype. Zum Beispiel Erzieher: „Sowas macht ein echter Mann nicht“.

In der Bundesverwaltung sind Männer mehrheitlich in den höheren Entgeltgruppen und Frauen in den mittleren Entgeltgruppen zu finden. Auch haben Männer bei Beförderungen nach wie vor die Nase vorn. Es ist also zumindest für die Bundesverwaltung nicht empirisch belegbar, warum zum jetzigen Zeitpunkt Männerförderung betrieben werden solle. Der Deutsche Juristinnenbund hat offen gelegt, dass der Gesetzgeber offenbar gar kein Interesse an einem empirisch begründbaren Nachweis hat. Sie veröffentlichten folgenden Auszug aus der Begründung des Gesetz-Entwurfs zu § 1 – er benennt die Ziele des Gesetzes: „Der verfassungsrechtliche Schutz- und Förderauftrag aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG [Grundgesetz] sowie die Zielsetzung aus § 1 Absatz 1 BGleiG gebieten es, auch Männer in Bereichen zu fördern, in denen sie unterrepräsentiert sind, unabhängig davon, ob dies durch eine strukturelle Benachteiligung verursacht wurde oder nicht.“

Wenn der Gesetzgeber an der Männerförderung fest hält, besteht die Gefahr, dass Frauen, die immer noch nicht mehrheitlich an der Spitze angekommen sind, auch noch aus den teilweise schlechter bezahlten Bereichen verdrängt werden. Diese haben ihnen bis dato jedoch oft im Gegenzug ein Plus an Flexibilität und Vereinbarkeit eröffnet, wie zum Beispiel durch Teilzeit. Solange Frauen weiterhin gesamtgesellschaftlich die Hauptverantwortung für Kindererziehung und Pflege tragen, werden sie hierdurch doppelt benachteiligt.

Was ich übrigens für viel wirkungsvoller halte, ist eine finanzielle Aufwertung von Tätigkeiten im Niedriglohnsektor, verstärkte Aktivitäten zur Entgeltgleichheit und die Arbeit an Geschlechterstereotypen, um das Berufswahlverhalten zu beeinflussen. Dann erst werden sich mehr Männer auch beispielsweise für administrative Verwaltungsberufe im mittleren Dienst wie Sekretariate bewerben – und ihre Frauen das völlig normal und akzeptabel finden: „Natürlich macht mein Mann so was.“

Könnten Sie das Problem der Novellierung hinsichtlich der Geschlechteransprache an einem Beispiel veranschaulichen?

Konkret ist zu befürchten, dass in dem Augenblick, in dem Gleichstellungsbeauftragte auch für Männerförderung in unterrepräsentierten Bereichen zuständig sind, sich das aktive und passive Frauenwahlrecht für dieses Wahlamt nicht halten wird. Das sieht beispielsweise auch der Deutsche Juristinnenbund so.

Das Frauenwahlrecht empfinden viele Männer als ungerecht, was ich in gewisser Weise vordergründig nachvollziehen kann, geht es doch um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Trotz bemerkenswerter Erfolge sind die historischen Altlasten zuungunsten von Frauen  jedoch noch nicht annähernd beseitigt. Es gibt für Frauen noch viel aufzuholen. Wir sind einfach noch nicht so weit. Gleichstellungsbeauftragte müssen einstweilen die Interessenvertretung von Frauen blieben.

Die Männer, die sich dadurch ungerecht behandelt fühlen, übersehen, dass der strukturelle Androzentrismus – also das Männliche als die Norm begreifend nach wie vor in allen Organisationen wirkmächtig ist und Männern Vorteile verschafft. Männliche Stereotype und Verhaltensweisen, männliche Lebensstile – also Alleinverdiener, wenig oder keine Familienverantwortung etc. – werden höher bewertet beziehungsweise strukturell begünstigt. Daher erscheint es nach wie vor unverzichtbar, dass Frauen wiederum Frauen als Gleichstellungsbeauftragte wählen, weil erfahrungsgemäß nur Menschen mit ähnlichen biographischen Erfahrungen  in der Lage sind, diese Nachteile zu erkennen.

Das Einnehmen einer solchen Geschlechterperspektive ist natürlich auch Männern möglich, aber meist nur nach intensiver Auseinandersetzung mit der Thematik und feministischen Analysen zum Beispeil durch ein wissenschaftliches Studium der Gender Studies. Das kann im Rahmen eines Wahlamtes aus dem Kreis der Beschäftigten weder garantiert noch erwartet werden. Außerdem haben Gleichstellungsbeauftragte eine besondere Vertrauensposition inne, weil sie sich qua Gesetz auch gegen sexuelle Belästigung einsetzen sollen – eine Problematik, die mehrheitlich Frauen betrifft. Eine von einem Mann belästigte Frau wird sich schwerlich an einen Mann wenden.

Herr Sauer, was wäre Ihrer Meinung nach notwendig, um eine proaktive Umsetzung des BGleiG zu befördern und die Zahl weiblicher Führungskräfte im öffentlichen Dienst weiter zu erhöhen?

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir die Gleichstellungserfolge und die erhöhte Aufmerksamkeit für Vereinbarkeitsbelange der letzten Jahrzehnte wesentlich dieser Gleichstellungsgesetzgebung zu verdanken haben. Das erste Frauenfördergesetz stammt von 1994. 2001 wurde es zu unserem heutigen Bundesgleichstellungsgesetz überarbeitet und ausdifferenziert. Das Gesetz hat die Komplexität von Gleichstellungsfragen erkannt, und dass nur das Zusammenwirken vieler Faktoren Fortschritte bringt.

Neben vor allem einer gleichstellungsorientierten Personalpolitik ist hier insbesondere die gesetzliche Verankerung von Gender Mainstreaming als international verfolgte und Erfolg versprechende Strategie zu erwähnen. Trotz seiner mittlerweile über 15-jährigen Geschichte, ist das Potenzial von Gender Mainstreaming auch nicht nur annähernd erkannt oder ausgeschöpft worden. Quoten allein werden die Gleichstellung nicht unbedingt nach vorne katapultieren, aber Quoten sind eine wichtige Maßnahme von vielen.

Es gibt wissenschaftliche Studien, die nachweisen, dass sich die kollektive Intelligenz einer Gruppe erhöht, wenn sie gemischtgeschlechtlich zusammengesetzt ist. Es gibt weitere Untersuchungen, die Anhaltspunkte dafür liefern, dass von Frauen geführte Bereiche oder Unternehmen nicht nur gleichstellungsorientierter, sondern insgesamt weniger risikoaffin, oft effizienter und sozial-ökologisch nachhaltiger handeln. Das sollte doch gut für uns alle sein.

Vielen Dank für das Interview!


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