Menschen mit Behinderung beschäftigten

Ein Kleinunternehmen macht´s vor

Die gsub mbH geht bei der Ingeration von Menschen mit Behinderung vorbildlich voran. Foto: gsub gmbH.

Seit mehr als 20 Jahren setzt die Berliner Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH, kurz gsub, auf Vielfalt. Zunächst im Fokus standen Frauenförderung und Gleichstellung. Seit sechs Jahren ist das Unternehmen mit dem audit berufundfamilie zertifziert, und es ermöglicht, die unterschiedlichsten Lebensentwürfe und Familienformen mit den beruflichen Anforderungen gut in Einklang zu bringen. Im Dezember 2013 hat der Geschäftsführer der gsub Dr. Reiner Aster die Charta der Vielfalt unterzeichnet.

Neuerdings stellt die gsub mbH gezielt auch Menschen mit Behinderung ein. Nach ihrer Unternehmensphilosophie gefragt, erläutert Frau Fellermayer, Prokuristin bei der gsub: „Wir unterstützen ein Arbeitsumfeld der Vielfalt, das auf Gerechtigkeit und gegenseitigem Respekt beruht. Wir begrüßen Bewerbungen von Menschen unabhängig von ethnischer, sozialer und nationaler Herkunft, Geschlecht, Religion, Alter, Behinderung, sexueller Orientierung und Familienstand.[1] Partnerschaftliche Zusammenarbeit und Wertschätzung sind ein Grundsatz des Leitbildes und damit als Teil unserer Unternehmenskultur definiert. Natürlich will die gsub mbH auch die Potenziale, die in der Vielfalt liegen, für das Unternehmen gewinnbringend einsetzen.“ Dass es nunmehr auch möglich ist, durch den Einsatz von Kolleg*innen mit Behinderung in der Fördermittelabteilung eine Peer-to-Peer-Beratung anbieten zu können, bereichert die Beratungsangebote und ist ein toller Zugewinn.

Wir haben mit Tobias Feier, Gleichstellungs- und Diversity-Beauftragter der gsub, über Motivation, Maßnahmen, Herausforderungen und Gewinn ihrer Diversitätsstrategie gesprochen.

Was hat Sie motiviert gezielt Menschen mit Behinderung einzustellen?

Feier: Im Zuge der Neustrukturierung vor einigen Jahren hat sich die gsub gmbH neue Geschäftsfelder erschlossen, speziell im Bereich der Inklusion und Integration in den Arbeitsmarkt. U.a. beraten wir heute im Auftrag des BMAS als Fachstelle Teilhabeberatung bundesweit rund 500 EUTB Angebote. Das Projekt leiten Frau Dr. Peitel und Frau Fellermayer. Sie ist gleichzeitig unsere Prokuristin und für die unternehmensinterne Gleichstellung und Diversitätsförderung zuständig ist. Das neue Projekt war für sie Anlass, gemeinschaftlich zu prüfen, ob und wie wir Teilhabe von Menschen mit Behinderungen bei uns selbst möglich machen (können). Da wir weitere Aufträge gewonnen haben und neues Personal benötigten, nutzten wir die Gelegenheit, unsere Kriterien der Personalauswahl und -entwicklung neu aufzustellen.

Von wem ging die Initiative aus?

Feier: Frau Fellermayer trieb das Thema betriebsintern voran, bis wir mit dem Anliegen, Menschen mit einer Behinderung einzustellen, an die Agentur für Arbeit herangetreten sind. Ich als Beauftragter für Diversity und Gleichstellung war natürlich in diesen Prozess einbezogen. Mir mir war es wichtig, dies nach außen darzustellen, z.B. anhand unsere Stellenausschreibungen und durch die barrierefreie Gestaltung unserer Webseite.

Mit welchen Unterstützungsmaßnahmen flankierten Sie die Einstellung von Kolleg*innen mit Behinderung?

Feier: Die Maßnahmen für die einzelnen Beschäftigten setzen an ihren Bedarfen an. U.a. haben wir eine spezielle Sprachsoftware installiert und bieten Unterstützung bei der Beantragung und Verwaltung von Arbeitsassistenzen. Mit Hochdruck arbeiten wir momentan an der barrierefreien Gestaltung unserer Räumlichkeiten. Zum Glück spielt unser Vermieter mit und hat uns den Umbau genehmigt. Wir finanzieren den Umbau ohne öffentliche Fördermittel.

Eine Toilette ist bislang rollstuhlgerecht, auf zwei anderen Etagen haben die Bauarbeiten begonnen. Der Gebäudeeingang hat eine automatische Türöffnung erhalten. Zudem planen wir ein Blindenleitsystem zur Orientierung in den Fluren und im Fahrstuhl. Einiges haben wir auch noch im Bereich der Veranstaltungsorganisation vor. Personaleinsatz und Organisation müssen den Ansprüchen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Barrierefreiheit angepasst werden. Bei Bedarf setzten wir Gebärdendolmetscher*innen ein, sowohl für Hauptreden im Plenum als auch für die anschließenden Workshops in kleineren Gruppen. Zudem verschriftlichen wir simultan in Leichte Sprache. Auch die Frage des Caterings ist wichtig. So ist zu gewährleisten, dass sich blinde oder sehbehinderte Kolleg*innen das Essen möglichst selbstständig zusammenstellen können und Rollstuhlfahrende das Buffet erreichen.

Wie werden die Teams bei der Inklusion unterstützt?

Feier: Führungskräfte unterstützen wir mit speziellen Schulungen und Coachings. Die Aufgabenverteilung in den Teams muss neu und gut abgestimmt, Potentiale und Stärken aller Mitarbeitenden müssen besonders berücksichtigt werden. Außerdem mussten wir alle erstmal akzeptieren lernen, dass Mitarbeitende mit Behinderung ggf. Unterstützung benötigen, um die bestehenden Barrieren im Arbeitsalltag abzubauen. Auch hier versuchen wir die Führungskräfte und Teams entsprechend zu unterstützen, mit konkreten Maßnahmen der Arbeitsassistenz und Barrierefreiheit, mit Sensibilisierung und Beratung. Darüber hinaus haben wir es uns auch zur Aufgabe gemacht, neue Mitarbeiter*innen von Anfang an an unsere Unternehmenskultur heranzuführen.

Wie befördern Sie die Unternehmenskultur in Richtung Vielfaltsorientierung, Akzeptanz und Wertschätzung?

Feier: Ein schönes Beispiel für unsere „Kulturarbeit“ ist der Diversity-Tag 2018, der zugleich Mitarbeitendentag war. Nach einem Kurzimpuls zum Thema Inklusion konnten sich unsere Mitarbeiter*innen in fünf Workshops an fünf verschiedenen Orten mit fünf verschiedenen Dimensionen von Diversität auseinandersetzen. Wir haben hierzu einen unkonventionellen Weg eingeschlagen und auf der Ebene des emotionalen Erlebens angesetzt. Mit der Vorführung des Kinofilms Moonlight[2], der Barriereerlebnistour durch Berlin-Mitte, einer alternativen Stadtführung durch Kreuzberg, einem Improtheater und einem Besuch im Jüdischen Museum setzten wir die inhaltlichen Impulse, die zum Abschluss des Tages gemeinsam ausgewertet wurden. Für diesen Ansatz haben wir sehr viele positive Rückmeldungen von den Teilnehmenden bekommen. Ich denke, wir konnten unsere Beschäftigten an ganz unterschiedlichen Punkten abholen. Nicht alle hatten sich vorher so intensiv mit dem Thema beschäftigt.

Wie wirkt sich die Inklusionsarbeit im Unternehmen aus?

Feier: Die Beschäftigung unserer Kolleg*innen mit Behinderung bereichert die Teams und das ganze Unternehmen. Ein Bereich strahlt auf die anderen aus. Die Sicht auf den Arbeitsalltag und die Zusammenarbeit hat sich verändert. Durch die tägliche Zusammenarbeit mit Rollstuhlfahrerinnen wird man damit konfrontiert, dass es eine Rolle spielt, wo ich Meetings stattfinden lasse, welchen Aufwand bestimmte Handlungen für andere bedeuten. Probleme werden anders angegangen. Vor allem gehen wir mit Behinderungen inzwischen viel offener, aber auch sensibler um. Aktuell großes Thema ist die Auseinandersetzung mit psychischen Gefährdungen und deren Handhabung im betrieblichen Kontext. In weniger offenen Arbeitskontexten wird das wahrscheinlich einfacher unter den Teppich gekehrt. Klar, jeden nehmen wir mit unserer Sensibilisierung für Diversität und Gleichstellung auch nicht mit, aber die große Zahl auf jeden Fall.

Allerdings stellen wir auch fest, dass je größer die Teams sind, sich sowohl die positiven als auch die herausfordernden Aspekte von Diversität potenzieren, das muss die Führungskraft bei der Strukturierung und Leitung von Teams beachten.

Wo ist die Inklusionsarbeit verankert? Wer koordiniert die Umsetzung?

Feier: Die Themenverantwortung ist in der Geschäftsführung verankert, bei unserer Prokuristin. Als Beauftragter für Diversität und Gleichstellung habe ich ein kleines Stundenkontingent für diesen Bereich neben meiner Tätigkeit als Projektleitung. Zusammen mit meiner Stellvertreterin Frau Sarah Müller haben wir einen regelmäßigen Jour fixe mit der Prokuristin, die unsere Anregungen in die Geschäftsführungsrunde einbringt. Außerdem bin ich selbst auch im steten Austausch mit der Geschäftsleitung. Zusätzlich haben wir die AG Diversity ins Leben gerufen, die dreimal im Jahr zusammenkommt und weitere Impulse setzt. Im letzten Jahr haben wir zum ersten Mal eine Schwerbehindertenvertretung gewählt, diese hat nun die Arbeit aufgenommen und wird hier im Bereich Inklusion die Verantwortung übernehmen, sodass Frau Müller und ich unseren Blick auf andere Dimensionen richten können.

Für Diversity und Gelichstellung gibt es ein jährliches Budget für individuelle Förderung und Fortbildung, oder wenn Frau Fellermayer oder ich mal eine Tagung zum Thema besuchen wollen, um unser Wissen auf den aktuellen Stand zu bringen. Ich wüsste noch einiges, wo man mehr Geld einsetzen könnte, aber wir kommen damit aus. Ab dem 1. Juni beginnt unser neues Personaltandem. Ich bin sicher, dass auch dort die Themen Diversität und Gleichstellung gut angebunden und strategisch verfolgt werden.

Was würden Sie anderen Arbeitgebenden empfehlen, worauf sie achten sollten?

Feier: Ich wünsche mir, dass viele Unternehmen sich dem Thema öffnen und prüfen, welche Maßnahmen sie ergreifen können. Einige sind schon mit wenig Aufwand umzusetzen, andere binden mehr Ressourcen. Eine externe Begleitung ist förderlich, eine regelmäßige selbstkritische Evaluation ist Minimum. Außerdem braucht es betriebsinterne Thementreiber*innen, Unterstützung durch die Geschäftsführung und Umsetzungsverantwortliche, die handeln und entscheiden dürfen und die mit Budget und Zeitkontingent ausgestattet sind. Stabsstellen sind auf jeden Fall effektiv und wirkungsvoll. Und was ich zum Abschluss noch entscheidend finde: Zuspitzungen helfen wenig weiter. Weder wird überall diskriminiert noch macht Vielfalt alles besser. Ein unaufgeregter Mittelweg, der zwischen den unterschiedlichsten Interessenlagen und Anforderungen vermittelt, befördert Inklusion und setzt da an, wo Handlungsbedarf besteht. Er nutzt die bestehenden Veränderungspotentiale und baut Barrieren ab.

In dem Thema steckt viel Potenzial drin. Eine Personalförderung und -strategie, die auf Diversität ausgerichtet ist, wird positive Effekte auf den Unternehmenserfolg haben. Mit Problemen wird anders umgegangen, die Zusammenarbeit verändert sich. Es bewerben sich vermehrt Menschen bei der gsub mbH, die bewusst in einem vorurteilsfreien und offenen Arbeitsumfeld arbeiten möchten, in dem allen Mitarbeiter*innen mit Wertschätzung begegnet wird. Und klar würde man gern immer noch mehr tun und anbieten, als personell und organisatorisch oft möglich ist.

Die gsub mbH ist seit 27 Jahren Dienstleisterin für Fördermittelmanagement und Beratung im öffentlichen Auftrag und ist heute auf den Feldern der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, Inklusions- und Teilhabepolitik, Bildungspolitik, Kinder- und Jugendpolitik sowie Stadtentwicklung tätig.


[1] Eine entsprechende Formulierung findet sich auch in den aktuellen Stellenausschreibungen: https://www.gsub.de/stellenangebote/stellenangebot-detail/news/interner-revisor-mwd/ (letzte Ansicht: 13.5.2019)

[2] MOONLIGHT erzählt die berührende Geschichte des jungen Chiron, der in Miami fernab jeglichen Glamours aufwächst. Der Film begleitet entscheidende Momente seines Lebens von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter, in denen er sich selbst und seine Sexualität entdeckt, für seinen Platz in der Welt kämpft, seine große Liebe findet und wieder verliert: https://dcmworld.com/portfolio/moonlight/ ((letzte Ansicht: 20.5.2019)


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