Berufstätige pflegende Angehörige sind unterschiedlich stark belastet. Lange war unklar, woran dies genau liegt, welche Arrangements besonders gut funktionieren und wann es besonders schwierig ist. Inzwischen liefern Forschungen aus intersektionaler Perspektive von Prof. Dr. Diana Auth von der FH Bielefeld aufschlussreiche Antworten. Damit zeichnen sich auch neue Ansatzpunkte für betriebliche Unterstützungsmaßnahmen ab.
Intersektionale Sicht liefert neue Erkenntnisse zu Beruf und Pflege
Diana Auth und ihre Kolleg*innen untersuchen seit einigen Jahren, wie die Diversitätskategorien Geschlecht, Migrationshintergrund, sozio-ökonomischen Status und Ethnizität auf Pflegearrangements die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege beeinflussen. Dem intersektionalen Ansatz entsprechend fragen sie, ob und wie sich die verschiedenen Kategorien gegenseitig verstärken oder neutralisieren.
In mehreren Studien haben die Wissenschaftler*innen um Auth dieses Zusammenspiel sichtbar gemacht und im Ergebnis fünf Pflegebewältigungstypen identifiziert.
Drei Muster gelingender Pflege- und Vereinbarkeitsbewältigung identifziert
Drei dieser Typen führen zu einer ‚eher gelingenden‘ Pflegebewältigung, d.h. „dass die Pflege in Einklang mit den eigenen Vorstellungen gestaltet werden kann, wodurch auch ein hoher Pflegeaufwand eher akzeptiert wird und das psychosoziale Belastungserleben geringer ist. Der Lebensentwurf wird dabei weitestgehend selbstbestimmt an die Erfordernisse der Pflegesituation angepasst (…).“ (Auth 2018, S.16)
Die eher gelingenden Pflegebewältigungstypen können, sehr vereinfachend, so charakterisiert werden:
Typus 1 – Pflegeorganisation rund um die Erwerbstätigkeit
Die Pflegepersonen dieses Bewältigungstypus verfügen, so die Studien, alle über einen hohen sozioökonomischen Status. Sie sind weiterhin erwerbstätig und weisen eine ausgeprägte Selbstsorgeorientierung auf. (Auth 2018, S. 16f) Dabei handelt es sich sowohl um männliche als auch weibliche Pflegepersonen mit oder ohne Migrationshintergrund.
Typus 2 – Aktiv genutzte Familienressourcen
Anders als bei den Personen vom Pflegebewältigungstypus 1 ist der sozioökonomische Status der Pflegepersonen nach Bewältigungstypus 2 niedrig. Sie behalten ihre Erwerbstätigkeit bzw. ihren gewählten Lebensentwurf bei und werden in ihrer Selbstsorgeorientierung durch Familienressourcen unterstützt. Auch hier spielen weder Geschlecht noch Migrationshintergrund eine entscheidende Rolle. (Auth 2018, S.18)
Typus 3 – Sinnstiftung
Hierzu zählen Pflegepersonen, die keiner oder einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nachgehen und deren Selbstsorgeorientierung in der ‚sinnhaften‘ Pflegeaufgabe liegt. Zu diesem Typus gehören, so die Studienergebnisse, sowohl Personen mit niedrigem als auch mit hohem sozioökonomischen Status. Ebenso variierten Migrationsstatus und Geschlecht. (Auth 2018, S.20)
Bestimmte Arrangements können zu prekärer Bewältigung führen
Es gibt jedoch auch Arrangements, in denen Menschen weniger gut mit der Herausforderung zurechtkommen, einen Angehörigen zu pflegen. Auth macht zwei Typen von ‚prekärer‘ Pflegebewältigung aus, d.h. diese Menschen ordnen „ihren Lebensentwurf den Bedürfnissen der pflegebedürftigen Person weitestgehend unter. Dementsprechend ist die Fremdbestimmung hoch und die Handlungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Die Bewältigung der Pflegeaufgabe wird als wenig oder nicht kontrollierbar erlebt, die soziale Anerkennung durch die Familie oder die pflegebedürftige Person bleibt zumeist aus und die Situation wird subjektiv als mehr oder weniger ausweglos empfunden.“ (Auth 2018, S.16).
Typus 4 – Alternativlosigkeit
Die Befragten in dieser Gruppe haben vor allem eines gemeinsam: Ihre Selbstsorgeorientierung ist eher gering, sie gehen keiner oder einer belastenden Erwerbstätigkeit nach und sie sind weiblichen Geschlechts. Geschlecht taucht hier – im Gegensatz zu Migrationshintergrund und sozio-ökonomischem Status – als relevante Kategorie auf.
Typus 5 – Ringen um Kontrolle
Auch die fünfte Gruppe schließlich umfasst nur Frauen, jedoch sind sie erwerbstätig, verfügen über einen hohen sozio-ökonomischen Status und eine ausgeprägte Selbstsorgeorientierung. Allerdings ist diese instabil und wird von Fremdbestimmung überlagert. Sie ringen um Kontrolle und versuchen stetig, sich (wieder) Freiräume zu verschaffen. Die Erwerbstätigkeit hat einen hohen Stellenwert.
In beiden ‚prekären“ Bewältigungstypen taucht Geschlecht als eine relevante Kategorie auf.
Individualität der betrieblichen Entlastungsmaßnahmen zentral
Welche Bedarfe pflegender Beschäftigter lassen sich nun aus diesen Erkenntnissen ableiten? Klar ist: Es braucht vor allem individuelle Lösungen, die den jeweils bestehenden besonderen Herausforderungen in der Pflegebewältigung gerecht werden können.
Vertrauensvolle Gesprächsräume zu eröffnen, ist das A und O. Da sich jedoch natürlich nicht alle Beschäftigten über ihre Pflegearrangements ihrem Arbeitgeber gegenüber im Detail äußern wollen, bietet es sich an, über das Gespräch mit der Führungskraft hinaus anonymisierte Beratungsmöglichkeiten mit internen oder externen Anlaufstellen anzubieten.
Grundsätzlich bedarf es einer nachhaltigen Pflegesensibilität in Betrieben. So sollte es zur Routine werden, sich wiederkehrend über entlastende und belastende Faktoren zu informieren und auszutauschen.
Weiter Begriff von Pflege nötig
Pflege wird von den Autorinnen dabei in Anlehnung an den englischen Begriff ‚care‘ verwendet und schließt „Aspekte der emotionalen und der sozialen Zuwendung und Teilhabe sowie der hauswirtschaftlichen und organisatorischen Unterstützung“ ein.
Weiterführende Literatur
Auth, Diana u.a. (2020): Sorgende Angehörige: eine intersektionale Analyse. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Auth, Diana u.a. (2018): Sorgende Angehörige als Adressat_innen einer vorbeugenden Pflegepolitik. Eine intersektionale Analyse, FGW-Publikation Vorbeugende Sozialpolitik, Düsseldorf. http://www.fgw-nrw.de/fileadmin/images/pdf/FGW-Studie-VSP-15-PflegeIntersek-Leitner_et_al.-2018_11_08-komplett-web.pdf