Kein Anspruch auf geschlechtsneutrale Formulare

BGH Urteil vom 13.3.2018

Geschlechtsneutrale Formulare sind möglich, juristisch aber nicht einklagbar.  Foto: Pixabay.com.

Nach BGH haben Frauen keinen Anspruch, in Formularen und Vordrucken nicht unter grammatisch männlichen, sondern ausschließlich oder zusätzlich mit grammatisch weiblichen Personenbezeichnungen erfasst zu werden. Zu dieser Entscheidung gelangt das BGH am 13.3.2018 und weist die Klage der 80-jährigen Marlies Krämer gegen die Sparkasse Saarbrücken ab. Durch Schreiben ihres Rechtsanwalts forderte Marlies Krämer die Sparkasse auf, ihre im Geschäftsverkehrt verwendeten Formulare und Vordrucke, die neben grammatisch männlichen Personenbezeichnungen wie etwa „Kontoinhaber“ keine ausdrücklich grammatisch weibliche Form enthalte, dahingehend abzuändern, dass diese auch die weibliche Form („Kontoinhaberin“) vorsehen.

Das BGH begründet sein Urteil wie folgt:

§ 28 Satz 1 des Saarländischen Landesgleichstellungsgesetzes begründet keinen individuellen Anspruch und ist kein Schutzgesetz. Daher konnte der Senat offen lassen, ob die Vorschrift verfassungsgemäß ist.

Die Klägerin erfährt allein durch die Verwendung generisch maskuliner Personenbezeichnungen keine Benachteiligung im Sinne von § 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Maßgeblich für die Beurteilung, ob die betroffene Person eine weniger günstige Behandlung erfährt als die Vergleichsperson, ist die objektive Sicht eines verständigen Dritten, nicht die subjektive Sicht der betroffenen Person. Der Bedeutungsgehalt grammatisch männlicher Personenbezeichnungen kann nach dem allgemein üblichen Sprachgebrauch und Sprachverständnis Personen umfassen, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist („generisches Maskulinum“). Ein solcher Sprachgebrauch bringt keine Geringschätzung gegenüber Personen zum Ausdruck, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass grammatisch maskuline Personenbezeichnungen, die sich auf jedes natürliche Geschlecht beziehen, vor dem Hintergrund der seit den 1970er-Jahren diskutierten Frage der Benachteiligung von Frauen durch Sprachsystem sowie Sprachgebrauch als benachteiligend kritisiert und teilweise nicht mehr so selbstverständlich als verallgemeinernd empfunden werden, wie dies noch in der Vergangenheit der Fall gewesen sein mag. Zwar wird im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung das Ziel verfolgt, die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Gleichwohl werden weiterhin in zahlreichen Gesetzen Personenbezeichnungen im Sinne des generischen Maskulinums verwendet (siehe etwa §§ 21, 30, 38 f., 40 ff. Zahlungskontengesetz: „Kontoinhaber“; §§ 488 ff. BGB „Darlehensnehmer“). Dieser Sprachgebrauch des Gesetzgebers ist zugleich prägend wie kennzeichnend für den allgemeinen Sprachgebrauch und das sich daraus ergebende Sprachverständnis.

Es liegt auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität vor, da sich die Beklagte an die Klägerin in persönlichen Gesprächen und in individuellen Schreiben mit der Anrede „Frau […]“ wendet und durch die Verwendung generisch maskuliner Personenbezeichnungen in Vordrucken und Formularen kein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts erfolgt. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ergibt sich angesichts des allgemein üblichen Sprachgebrauchs und Sprachverständnisses auch nicht aus Art. 3 GG.

Quelle: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=9dad8e4fada1af2f00baa46604d0ddee&nr=81591&linked=pm&Blank=1

Das Dilemma des Urteils liegt nun gerade darin begründet, dass das BGH in seinem ihm eigenen Auftrag lediglich über die Rechtskonformität des generischen Maskulinums in Formularen zu entscheiden hat, nicht jedoch über einen die Gleichbehandlung behindernden/verzögernden Sprachgebrauch. Rein juristisch gesehen, begründet weder das zur Prüfung heranzuziehende AGG noch das Saarländische Gleichbehandlungsgesetz noch das Grundgesetz die Bewertung des generischen Maskulinums in Formularen als Verstoß gegen die Gleichbehandlung der Geschlechter, da sich aus der Verwendung des generischen Maskulinums in Formularen keine Benachteiligung bzw. keine weniger günstige Behandlung im Sinne von § 3 AGG ableitet.

Damit verweist das Urteil auf sehr viel grundsätzlichere Handlungsbedarfe in Sachen Gleichstellungsgesetzgebung, ist das AGG dringend reformbedürftig, um letztlich auch den im Urteil angesprochenen gesellschaftlichen Veränderungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zur geschlechterrelevanten Wirkung von Sprachhandeln Rechnung zu tragen. Damit in Zukunft alle Personen ein Recht auf eine geschlechterdifferenzierte Ansprache – etwa als Kund*in – in Formularen und Gesetzen haben.


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