Interview: Das Theater mit der Pflege

Windeln fliegen, Alte schlagen sie sich und anderen um die Ohren. Angespannt und leicht irritiert beobachten die Zuschauenden den Windeltanz – hier proben die Alten den Aufstand im Pflegeheim. Vorübergehende bleiben stehen. Szenenwechsel. Die Socken im Kühlschrank … Das Umweltbundesamt (UBA) wählte im Rahmen des audits berufundfamilie, das von Dr. Elisabeth Mantl begleitet wird, eine neue Form, um sich dem Thema Beruf und Pflege zu nähern: ein Theaterstück. Das Stück wurde inzwischen weiterentwickelt und hatte am 25. Mai im Berliner THIKWA Studio Premiere.

Interview mit Christiana Jasper, Gleichstellungsbeauftragte im Umweltbundesamt.

Frau Jasper, warum ein Theaterstück?

Wir suchten eine Form der Kommunikation, mit der wir das Thema präsenter werden lassen konnten und sowohl Betroffene als auch jüngere Menschen erreichen.

Nach mehreren Jahren, in denen sich das UBA mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie beschäftigt hat, waren wir von den eher freundlichen Themen wie Kinderbetreuung zu den schwierigen Themen wie der Pflege vorgestoßen. Ein Thema, das gern verdrängt wird, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehr belastet, aber nur wenig nach außen kommuniziert wird. Die audit-Projektgruppe war auf der Suche nach einer neuen Idee und wurde hierbei auch maßgeblich von der Kunst- und Kulturbeauftragten Martha Hölters-Freier unterstützt.

Das UBA hat eine Kunst- und Kulturbeauftragte?

Das UBA als wissenschaftliche Behörde steht oft vor der Aufgabe, eher unangenehme oder sperrige Informationen vermitteln zu müssen. Daher gibt es viele Projekte, die Kommunikation mit Kunst und Kultur verknüpfen. Vorträge gibt es im UBA fast täglich, auch Filme und Ausstellungen – es musste etwas anderes her. Frau Hölters-Freier arbeitet in der Freizeit als Regisseurin im Off-Theater, so war die Idee recht bald geboren, ein Theaterstück unter ihrer Leitung zum Thema Pflege zu entwickeln.

Sie haben ja selbst auch mitgespielt. Was war für Sie der Anreiz?

Es fanden sich spontan knapp zehn Interessenten, die etwas Kreatives ausprobieren wollten. Überwiegend junge Leute. Es war einfach spannend, in andere Rollen hineinzuschlüpfen und hineinzuspüren, auch mal die Seiten zu wechseln. Für die meisten von uns war das eine ganz neue Erfahrung. Aber wir wurden ja von einer erfahrenen Regisseurin angeleitet. Das hat unglaublich viel Spaß gemacht. Wir übten verschiedene Szenen ein, die typische Alltagssituationen beschreiben, den Entfremdungsprozess und die Belastungen spürbar werden lassen.

Gab es zum Thema Pflege eigene Erfahrungen oder Vorlagen?

Viele Anregungen erhielten wir durch das Buch “Der Alte König in seinem Exil“ von Arno Geiger. Ein wunderbares Buch, in dem sich der Autor sehr berührend mit der Demenz seines Vaters beschäftigt.

Wie war die Resonanz?

Wir haben das Stück zweimal im Rahmen der Familientage im UBA aufgeführt, einmal im Standort Dessau und einmal in Berlin. Die Veranstaltungen waren beide Male sehr gut besucht. Die Resonanz war wirklich beeindruckend. Es hat die Leute mitgenommen, berührt, wir haben Menschen erreicht, die wir sonst nicht mit diesem Thema erreicht hätten. Es kamen hinterher Leute zu uns und sagten: so wie ihr das dargestellt habt, genau so ist das. Sie erzählten von ihren Ängsten und Belastungen, fühlten sich nicht mehr allein – genau das, was wir erreichen wollten. Die Pflege wurde zum Thema. Andere berichteten, dass sie sich nun besser in Pflegende oder auch Gepflegte hineinfühlen können. Ich erhielt noch Tage später viele Emails.

Warum war es so erfolgreich?

Weil wir das Thema nicht über den Kopf, sondern über Bilder und Emotionen vermittelten. Das ist einfach sehr beeindruckend, wirkt viel länger nach. Man kann hier ganz anders punkten als mit Vorträgen und Belehrungen. Sicher spielte auch eine Rolle, dass wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Hauses waren, aber ich glaube, dass das nicht entscheidend war. Eine Gruppe von außen, die das Thema gut umsetzt, kann ähnlichen Erfolg haben. Der Aha-Effekt entsteht dadurch, dass Theater eine andere Form der Betroffenheit erzeugen kann.

Würden Sie das Theaterspielen auch anderen Organisationen empfehlen, die sich dem Thema Pflege widmen?

Unbedingt! Wir hatten ja das Glück, eine erfahrene Regisseurin an Bord zu haben, das ist sicher nicht immer möglich. Aber ich denke, das Thema in Form eines Theaterstücks anzubieten, auch von extern, ist grundsätzlich ein Erfolg versprechender Weg. Er führt auf jeden Fall zu größerem Interesse und mehr Offenheit dem Thema gegenüber.

Das Stück wurde von Frau Hölters-Freier inzwischen mit dem Theater Zentrifuge  weiterentwickelt und öffentlich aufgeführt. Premiere war am 25. Mai.

Aktuelle Termine:

Samstag 15. und Sonntag, 16. Juni 2013 jeweils um 20 Uhr im Theater Aufbau Kreuzberg, Berlin

http://www.theater-aufbau-kreuzberg.de/?p=17&t=2&id=116

Interview: M. Kaspar


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