Buchtipp
Das Kopftuch: Emanzipation oder Unterdrückung?

Stigma KopftuchFlorian Kreutzer beginnt sein Buch „Stigma Kopftuch. Zur rassistischen Produktion von Andersheit“ mit seinen persönlichen Erfahrungen, die er im Rahmen seiner Lehrtätigkeit in den USA und Deutschland mit dem Tragen beziehungsweise der Ablehnung des Kopftuchs machte. So beobachtete er einerseites, dass seine US-amerikanischen Studentinnen das Kopftuch demonstrativ anlegten und damit gegen die Diskriminierung muslimischer Religionsangehöriger nach dem 11. September 2001 protestierten. Im Wintersemester 2006/07 erlebte er zurück in Deutschland andererseits heftige Kritik am Kopftuch. Hier lasen Studierende das Kopftuch als Symbol eines fundamentalistischen Islamverständnisses sowie als Ausdruck unterdrückter Frauenrechte. Sie traten vehement dafür ein, das Kopftuch gesetzlich zu verbieten.

Florian Kreutzer forscht und lehrt seit 2008 als Professor für Soziologie an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Berufssoziologie und soziologische Theorie. Als sich 2012 Sümeyye Demir auf ein Praktikum bewarb, war der Grundstein für das vorliegende Buch gelegt. Demir sollte im Rahmen ihres Praktikums verschleierte Frauen in Deutschland mit türkischem Migrationshintergrund zu Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und ihrem Selbstverständnis als muslimische Frauen und Mütter interviewen. Darüber hinaus interessierten Kreutzer die Erfahrungen, die die Kopftuch tragenden Frauen im deutschen Bildungssystem bzw. auf dem Arbeitsmarkt machen.

In seinem nun vorliegenden Buch wertet Florian Kreutzer die Gesprächsergebnisse aus. Er rekonstruktiert die Bildungsverläufe und Berufswünsche, die angestrebten wie gelebten Vereinbarkeitsmodelle der muslimischen Frauen, aber auch die Ausgrenzungsmechanismen, die sie auf Grund ihres Kopftuchs bei der Suche nach einer Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle erlebt haben.

Im Ergebnis stellt sich ihm das Kopftuch als Projektionsfläche stereotyper Stigmatisierung, als rassistische Produktion von Andersheit dar. Die Haltung von Bildungsträgern und Arbeitgebern erleben die interviewten Frauen häufig voruteilsbelastet. Nicht selten erschwert sie die gewünschte Teilhabe der Frauen an Bildung und Erwerb.

Die Darstellung Kreutzers macht den „Schleier“ als komplexes und umkämpftes Symbol verstehbar, der vielerlei Deutung unterliegt. Gleichzeitig verdeutlicht die Arbeit, dass sich zumindest die interviewten Frauen in ihren Wünschen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie lediglich in Nuancen von jenen der deutschen Frauen ohne Migrationshintergrund unterscheiden, das Tragen des Kopftuchs eine gleichberechtige Teilhabe an Bildung und Erwerb aber erschwert.

Für sie alle ist die eigene Erwerbstätigkeit Bestandteil der eigenen Lebenskonzeption. Den größten Unterschied sieht Kreutzer in der Motivation und weniger in der Selbstverständlichkeit der Erwerbstätigkeit von Müttern. Anders als im deutschen Kontext dient die Müttererwerbstätigkeit weniger der Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit. Sie steht stärker im Dienst der Zukunftschancen der Kinder, ist aber gleichermaßen selbstverständlich.

Mit seinen zahlreichen O-Tönen aus den Interviews ist die Studie sehr kurzweilig zu lesen. Gleichzeitig ist sie wegen des theoretischen Ansatzes und der wissenschaftlichen Fragestellungen äußerst erhellend und aufklärend. Insbesondere angesichts der Debatten um Integration und Flüchtlingskrise ist dieses Buch unbedingt empfehlenswert.

Kreutzer, Florian (2015): Stigma „Kopftuch“. Zur rassistischen Produktion von Andersheit. Bielefeld transcript-verlag

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