Annie Ernaux blickt auf ihre eigene Geschichte, von deren Anfängen im ersten Lebensjahr bis zum Beginn des Jahrtausends. Im besten Wortsinne vergegenwärtigt sie sich ihr Leben und verortet sich, über die sie in der dritten Person schreibt, mithilfe von Fotos, Gegenständen, Wörtern und Melodien in der Welt. Der Moment der Fremderfahrung ist ein treuer Begleiter in dieser unpersönlichen kollektiven Biographie.
Mich faszinieren die Reflektionen Annie Ernauxs darüber, wie man nicht nur als Individuum, sondern immer auch in einem Kontext in der Welt ist. Und dass es dieser Kontext ist, der jeweils mit darüber bestimmt, wie nah oder fern man sich selbst ist. Wie umgehen mit Kontextwechseln, mit wechselnden Kulturen, Altern, Generationen? Dabei dehnt die persönliche Entwicklung ihren Referenzrahmen immer weiter aus von Frankreich auf die Welt.
Je älter die Erzählerin wird, umso mehr Gemeinsamkeit stellt sich mit meiner Erfahrungswelt als Leserin ein, umso deutlicher werden die gemeinsamen Referenzrahmen. Ich habe mich gefragt: Wie stand ich zu diesem Zeitpunkt in der Welt? Was hat mich geprägt?
Die 82-jährige französische Schriftstellerin Annie Ernaux ist für Ihre Werke soeben mit dem Literaturnobelpreis 2022 ausgezeichnet worden.
Annie Erneux (2017): Die Jahre, Suhrkamp Verlag, 255 Seiten, 9783518225028