EIGE-Studie: Stand der Gleichstellung im europäischen Vergleich

Die polnische Regierung veranlasste 2011 während ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Überprüfung der gleichstellungspolitischen Ziele der vierten Weltfrauenkonferenz von 1995, die alle 27 EU-Länder unterzeichnet hatten. Sie wurden 2010 in der auf zehn Jahre angelegten Wirtschaftsstrategie „Europa 2020“ festgeschrieben. Mit der Studie wurde das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) mit Sitz in der litauischen Hauptstadt Wilna beauftragt. Schwerpunkt der Überprüfung war die Vereinbarkeit von Berufs-, Familien- und Privatleben als Indikator für Gleichstellung. Die Ergebnisse wurden Ende 2012 veröffentlicht. (Überprüfung der Umsetzung der Aktionsplattform von Peking: Frauen und Wirtschaft. Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben als Voraussetzung für Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Wichtigste Feststellungen, hg. vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) 2012 (download pdf von der EIGE-Website)

Summa summarum kam EIGE zu dem Schluss, „dass europaweit nur langsam Fortschritte zu verzeichnen sind und eine Gleichstellung der Geschlechter im Sinne der Strategie ‚Europa 2020’ tatsächlich noch nicht zum Tragen kommt“. Die Befunde sind wenig überraschend. Denn auch 2013 gilt trotz aller (vermeintlicher) Anstrengungen:  Nach wie vor übernehmen vorwiegend Frauen die Betreuung von Kindern und älteren Menschen und gehen Männer häufiger als Frauen einer bezahlten Tätigkeit nach. Die Situation von Frauen wird nach wie vor häufiger vom Betreuungsbedarf anderer beeinflusst, als dies bei Männern der Fall ist. Nach wie vor sind es vor allem die Frauen, die familienbedingt ihre Arbeitszeit reduzieren.

Dies gilt, obwohl Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie einerseits und zur Verbesserung des Zugangs von Frauen zum Arbeitsmarkt in allen Positionen andererseits Eingang in die nationalen Politiken gefunden haben.

Messkriterien für Gleichstellung

Als Messkriterien überprüft die EIGE die Stellung am Arbeitsmarkt und Übernahme von Betreuungsverantwortung. Im Einzelnen unter die Lupe genommen wurden

  • die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt,
  • die Inanspruchnahme von Elternzeit,
  • die Aufteilung des Elternurlaubs zwischen erwerbstätigen Frauen und Männern,
  • die Zeitverwendung für bezahlte und unbezahlte Arbeit,
  • die Zugänglichkeit und Bereitstellung von Angeboten für pflegebedürftige Ältere
  • und die Nutzung der verfügbaren Kinderbetreuungsangebote.

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Studie für diese Kriterien zusammenfassend dargestellt.

Situation auf dem Arbeitsmarkt: unausgeglichen, leichte Verbesserung
EIGE kam hier zu folgenden einzelnen Ergebnissen: Trotz großer Unterschiede unter den Mitgliedstaaten herrscht auf dem Arbeitsmarkt insgesamt nach wie vor ein hohes Maß an Ungleichstellung der Geschlechter. Die durchschnittliche Beschäftigungsquote in den 27 EU-Mitgliedsstaaten betrug im Jahr 2010 68,8 %, die Frauenerwerbsquote 62,1 %, wobei zehn EU-Mitgliedstaaten über dem Durchschnitt der EU-27 liegen, darunter auch Deutschland. Obwohl in den vergangenen zehn Jahren ein Anstieg der Beschäftigungsquote von Frauen festzustellen war, beträgt der geschlechtsspezifische Unterschied bei der Beschäftigungsquote im Jahr 2010 in den 27 EU-Mitgliedstaaten 13 Prozentpunkte. Bislang hat nur Schweden das Ziel der Strategie „Europa 2020“, eine Beschäftigungsquote bei Frauen und Männern von 75 %. In Deutschland wurde das Teilziel der europäischen Beschäftigungsstrategie, die Frauenerwerbstätigenquote auf 60% anzuheben, bereits im Jahr 2005 erreicht, 2010 betrug der Beschäftigungsgrad der Frauen schon 66%. Allerdings ging dieser Anstieg mit einem überproportionalen Anstieg weiblicher Teilzeitbeschäftigung einher. Wie in der gesamten EU ist der geschlechtsspezifische Unterschied bei einer Vollzeitbeschäftigung auch in Deutschland deutlich größer.

Betreuungsverantwortung: schlecht, aber geringfüge Verbesserung
Des Weiteren fand EIGE die enge Verbindung zwischen Kinderbetreuung und Beschäftigungsquoten von Frauen erneut bestätigt und erläutert dies am Beispiel der Aufteilung des Elternurlaubs zwischen Frauen und Männern. 2009 hatten sich die EU-Sozialpartner auf eine neue Richtlinie zum Elternurlaub verständigt. Demzufolge sollen die europäischen Länder ihre Elternzeitregelungen dergestalt überarbeiten, dass mindestens einer der Monate nicht auf den anderen Elternteil übertragbar ist. Ebenso eingeräumt werden sollte ein Schutz vor einer diskriminierenden Behandlung am Arbeitsplatz und die Gewähr, dass Arbeitnehmer/innen nach der Rückkehr aus dem Elternurlaub Änderungen ihrer Arbeitszeit für eine bestimmte Dauer beantragen können. Ziel war es, die Betreuungsbeteilung der Väter deutlich zu steigern. In Deutschland wurden die Elternzeitregelungen, wie bekannt, 2007 in diesem Sinne überarbeitet. Zwar führten die neuen Regelungen zu einer deutlichen Erhöhung der Inanspruchnahme von Elternzeiten durch die Väter. Die Inanspruchnahme der Elternzeit bei Männern stieg von unter 10 Prozent in 2007 auf 29 Prozent in 2012 an. Bis zu einer gleichberechtigten Übernahme von Betreuungsaufgaben zwischen Frauen und Männern ist es allerdings noch weit. Einzig in Schweden lag die Quote bei 77 Väter je 100 Mütter.

Betreuungsangebote für Kinder im Vorschulalter: unzureichend
Untersucht wurde als weiterer Indikator für die erreichte Gleichstellung der Anteil betreuter Kindern in den unterschiedlichen Altersgruppen. Beim EU-Gipfel in Barcelona in 2002 einigten sich der EU-Länder darauf, die Betreuung für Kinder auszubauen. Zielvorgabe war, Angebote für mindestens 90% der Vorschulkinder sowie für 33% der Kinder unter drei Jahren vorzuhalten. 2009 hatten erst neun Mitgliedsstaaten die Zielvorgabe für die Betreuung der unter Dreijährigen erreicht. Deutschland lag dabei unter dem Durchschnitt der EU27 auf dem zwölften Platz, sprich am unteren Ende des Mittelfelds. Beim Angebot einer Betreuung von Kindern im Vorschulalter erreichten sieben Mitgliedsstaaten die Zielvorgabe von 90%, weitere sieben, darunter auch Deutschland, erzielten ein Angebot von mindestens 80%. Eltern sehen sich bei der Abstimmung zwischen ihren regulären Arbeitszeiten bei einer Vollzeitbeschäftigung und den Öffnungszeiten von Vorschul- und Schuleinrichtung folglich immer noch kaum überbrückbaren Schwierigkeiten gegenüber.

Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger: unausgewogen
Neben der Integration von Frauen und Männern in die Betreuung von Kindern untersuchte EIGE auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Betreuung älterer, pflegebedürftiger Angehöriger. Diese werden nach wie vor europaweit vor allem zu Hause von Frauen gepflegt. Die Übernahme von Betreuungsverantwortung für ältere Menschen reduziert die Chancen auf eine gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben. Am höchsten war der Anteil der pflegebedürftigen älteren Menschen über 75 Jahren in stationärer oder semistationärer Pflege in Dänemark und Schweden mit 35%, also in jenen Ländern, in denen Gleichstellung zwischen Frauen und Männern am weitesten fortgeschritten ist. In 19 der 27 Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, wird der Großteil der pflegebedürftigen älteren Menschen informell gepflegt. Hier liegen auch die stärksten Auswirkungen auf die Möglichkeiten, im späteren Lebensverlauf Beruf und Familie vereinbaren zu können.

Geschlechtergerechten Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit: nur langsame Fortschritte
Die Analyse der Daten zur Zeitverwendung zeigt, dass Männer mehr Stunden mit bezahlter Beschäftigung verbringen, währen Frauen mehr unbezahlte Tätigkeiten als Männer verrichten. In den meisten EU-Staaten sinkt die Beschäftigungsquote von Frauen bei einer steigenden Zahl von Kindern. Frauen finden sich häufiger in der Lage, die Anforderungen des Berufslebens und die Bedürfnisse von Kindern oder anderen Pflegebedürftigen miteinander vereinbaren zu müssen. Daraus ergibt sich eine höhere unbezahlte Arbeitsbelastung von Frauen. Hier schneidet Deutschland mit einem vierten Platz bei den geschlechtsspezifischen Differenzen in der Zeitverwendung für unbezahlte Tätigkeiten im europäischen Vergleich ganz gut ab, allerdings zeigt die geschlechtsspezifische Differenz bei der aufgewendeten Zeit für bezahlte Tätigkeiten, dass Deutschland hier wiederum unter dem EU-Durchschnitt liegt.


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