Geschlecht bestimmt Arbeitsbewertung

Neues Bewertungsverfahren entwickelt

Neue Studie belegt systematische Abwertung weiblicher Erwerbstätigkeit. Foto: Pixabay.Com (FotografieLink)

Die aktuellen Zahlen zum Gender Pay Gap in Deutschland sind ernüchternd. Die unbereinigte Lohnlücke zwischen Männern und Frauen liegt noch immer bei rund 21% Prozent und hat sich in den letzten Jahren kaum geschlossen. In der Lesart der Europäischen Kommission ist am Gender Pay Gap Index der Erfolg nationaler Gleichstellungsbemühungen abzulesen. Demzufolge besteht für Deutschland nach wie vor großer Handlungsbedarf, auch wenn beispielsweise mit Verabschiedung des Entgelttransparenzgesetztes im Jahr 2017 wichtige politische Signale gesetzt wurden.

Theorien, die dieses Phänomen zu erklären und seine Ursachen aufzudecken suchen, gibt es viele. Zumeist aber wird der Gender Pay Gap auf die individuelle Berufswahlentscheidungen von Männern und Frauen zurückgeführt. Allerdings kann damit nicht erklärt werden, dass eine Feminisierung von Berufen insgesamt verdienstmindernd, eine Maskulinisierung jedoch verdienststeigernd für das jeweilige Berufsfeld wirkt.

Ute Klemmer, Christina Klenner und Sarah Lillemeier haben nun in ihrer Studie „Comparable Worth. Arbeitsbewertung als blinder Fleck in der Ursachenanalyse des Gender Pay Gaps?“ genauer untersucht, inwieweit eine nach Geschlecht unterschiedliche Bewertung von Arbeit in Deutschland zum Gender Pay Gap beiträgt und die theoretische Annahme einer nicht-geschlechtsneutralen Arbeitsbewertung überprüft.

Hierfür haben die Forscherinnen in Anlehnung an ein geschlechtsneutrales Arbeitsbewertungsverfahren (Paarvergleich aus dem eg-check) den „Comparable Worth-Index“ (CW) entwickelt, der bei der Arbeitsbewertung nicht nur Wissen und Können erfasst, sondern z.B. auch Verantwortung für Andere oder psycho-soziale und physische Arbeitsanforderungen berücksichtigt. Der „CW-Index“ ist somit ein Messinstrument, mit dem statistisch die Anforderungen und Belastungen in Berufen geschlechtsneutral verglichen werden können.

Dabei zeigte sich, dass die unterschiedliche Bewertung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern bislang bereits Untersuchungsdesigns und Kennzahlen zum Gender Pay Gap mit beeinflussen und das Erforschen und Denken über Einkommensunterschiede einem gravierenden Gender Bias folgen. Und auch in den Auswertungen finden die Forscher*innen eine „evaluative Diskriminierung“ gegeben. Psychosoziale Anforderungen oder die Verantwortung für das Wohlergehen von Menschen werden in vielen Bewertungskonzepten der Arbeitsleistung kaum oder gar nicht berücksichtigt.

Mit Hilfe des CW-Index können nun für jedes Berufsfeld und jede berufliche Position Werte einer geschlechtsneutralen Arbeitsbewertung ermittelt werden. Die Bewertung erfolgt hierbei anhand von insgesamt 19 Kategorien, die den Dimensionen

  • Anforderungen an Wissen und Können
  • Psychosoziale Anforderungen
  • Anforderungen an Verantwortung
  • Physische Anforderungen

zugeordnet werden können.

Die neuerliche Untersuchung „gleichwertiger“ Berufsgruppen mit dem CW-Index hat nun mit konkreten Zahlen die systematische Abwertung weiblicher Erwerbsarbeit nachgewiesen. Gemessen an ihren Anforderungen und Belastungen wird weibliche Erwerbsarbeit vergleichsweise geringer entlohnt als männliche Erwerbsarbeit.

In vielen weiblich dominierten Bereichen wie Erziehung und Pflege sind die beruflichen Anforderungen und Belastungen vergleichsweise hoch, gleichzeitig fallen die Verdienste dort geringer aus. Legt man den „CW-Index“ als Maßstab an, haben die Beschäftigten in der größtenteils von Frauen ausgeübten Altenpflege vergleichbar hohe Anforderungen und Belastungen zu bewältigen wie die in den männlich dominierten IT- und Technikberufen. Allerdings bekommen die Beschäftigten in der Altenpflege durchschnittlich nur 14,42 Euro pro Arbeitsstunde und die Beschäftigten im Technik- und IT-Bereich zwischen 25,72 Euro und 27,92 Euro.

Die Studie bestätigt die These der bestehenden Abwertung weiblicher Erwerbarbeit („Devaluationshypothese“) auch unter Berücksichtigung weiterer verdienstrelevanter Faktoren, wie beispielsweise der Arbeitszeit, der Berufserfahrung, der Tarifbindung und der Branchenzugehörigkeit der Beschäftigten. Unter Kontrolle dieser Faktoren führt die Zunahme der beruflichen Anforderungen und Belastungen (der CW-Index steigt um eine Einheit) zu je einem Verdienstzuwachs von mehr als 6 Prozent bei den Männern und weniger als 5 Prozent bei den Frauen.

Gleichwohl gilt auch hier: Keine Regel ohne Ausnahme: Es gibt zwei „Männerberufe“ (Kraftfahrzeugführer, Lkw- und Busfahrer), die im Vergleich mit gleichwertigen „Frauenberufen“ geringer entlohnt werden.

Durch den neu entwickelten Index können Diskriminierungen im Beruf tiefenschärfer aufgedeckt und Ursachen besser erkannt werden. Als wichtigste Maßnahmen zur Überwindung des anhaltenden Gender Pay Gap listen die Forscher*innen:

  • Eine Weiterentwicklung und großflächige Anwendung des CW-Index
  • Untersuchung weiterer Gründe für die ungleiche Bezahlung (Untersuchung weiterer gemeinsamer Anforderungen/Bedingungen/Merkmale der besonders gut oder schlecht vergüteten Berufsfelder)
  • Einführen verpflichtender Regelungen für Arbeitsgeber*innen in Bezug auf Transparenz und Prüfung in Bezug auf den Index
  • Überprüfen anderer Bewertungsverfahren der Arbeitsleistung und der Widerspiegelung derselben in den jeweiligen Gehältern
  • Sensibilisierungskampagnen und strategische Aufwertung von Aufgaben und Anforderungen, die momentan aus unterschiedlichsten Gründen als nicht entlohnungswürdig beurteilt werden

 

Klemmer, Ute; Klenner, Christina und Sarah Lillemeier (2018): „COMPARABLE WORTH“. Arbeitsbewertungen als blinder Fleck in der Ursachenanalyse des Gender Pay Gaps? https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_studies_14_2018.pdf.


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