Der siebte Familienbericht empfiehlt die Familiengründung ins Studium vorzuverlagern, um die biographische Rushhour zu entzerren. Statt Ausbildung, Berufseinstieg und Familiengründung als sukzessive Abfolge zu realisieren, schlagen die Autor_innen des Familienberichts die Parallelisierung von Ausbildung/Studium und Familiengründung vor.
Inwiefern eine Familiengründung im Studium Lebensverläufe tatsächlich entzerren und inwiefern sie geschlechtergerechtere Elternschaftsarrangements befördern, untersucht Nina Wehner in der hier vorliegenden Studie. Sie hat zu diesem Zweck zehn studierende Mütter und acht studierende Väter leitfadengestützt interviewt. Die Interviewergebnisse wertete sie rekonstruktiv-hermeneutisch aus, um in einem zweiten Schritt die Einzelerfahrungen zu kategorisieren und zu typisieren. Alle Eltern studierten an einer Baden-Würtembergischen Hochschule.
Im Fokus der Untersuchung stehen Fragen nach den Entstehungszusammenhängen studentischer Elternschaft sowie die Positionierung der studierenden Eltern zu Mutterschafts- und Vaterschaftsnormen.
Wehner findet eine Vielzahl von Gründen für eine Familiengründung im Studium und eine ebenso große Bandbreite im Umgang mit Mutter- und Vaterschaftsmodellen. Insgesamt erscheinen jedoch die jeweiligen Modelle, für die sich die studierenden Mütter entscheiden, stärker handlungs- und verhaltensleitend als die der Väter. Die Interviews zeigen sehr eindringlich, wie sehr sich alle interviewten Mütter mit der Bandbreite von Mutterschaftsmodellen auseinandersetzen. Das Spektrum reicht von Modellen der ausschließlichen oder überwiegenden Mutterschaft über egalitär arbeitsteilige Elternschaft bis hin zur berufs- und karriereorientierten Mutterschaft. Es wird deutlich, dass das Geflecht unterschiedlicher, gleichzeitig gültiger Modelle gerade auch die studierenden Mütter herausfordert und eine Positionierung abverlangt. Wehnert stellte fest, dass alle interviewten Mütter unter Legitimationsdruck stehen. Die Studierenden erläuterten in den Interviews sehr detailliert und ausführlich, warum ihr aktuell gelebtes Mutterschaftsmodell gut bzw. gar nicht so schlecht ist. Unabhängig vom gelebten Mutterschaftsmodell antizipieren alle Mütter aber Probleme des Berufseinstiegs mit Kind.
Bezogen auf die Eingangsfragen kommt Wehner zu folgenden Schlusseinschätzungen:
Elternschaft im Studium ist vielerlei begründet. Sie kann bewusst entschieden sein und durchaus das Ziel verfolgen, die biographische Rushhour zu entzerren. Dies trifft vor allem auf die stark planerischen Mütter zu, die hoffen, über die Vorverlagerung der Familiengründung die befürchteten Vereinbarkeitsprobleme zu entschärfen. Daneben gibt es Mütter, die das Studium explizit als Zeitraum für die Familiengründung bewusst wählen, weil es als die beste Phase erscheint, die eigenen Vorstellungen von Mutterschaft und Vaterschaft zu realisieren. Einige der interviewten Mütter und Väter haben eine Schwangerschaft mehr oder weniger entschieden in Kauf genommen. Wieder andere sind ungewollt Eltern geworden. Unabhängig, ob bewusst entschieden oder nicht, kann, so Wehners Deutung der Interviews, die Vorverlagerung der Familiengründung in das Studium berufsbiografische Ungleichheiten zuungunsten von Müttern abmildern. Entscheidend scheint aber das konkrete Timing zu sein. Aus den Interviews folgert Wehner, dass die Chancen hierzu am besten für die Mütter sind, die im Studium partnerschaftliche, egalitäre Elternschaftsarrangements entwickelt haben.
Insgesamt wirkt laut Wehner eine Familiengründung im Studium den tradierten Effekten einer Familiengründung aber auf jeden Fall entgegen. Ob der Familiengründung eine bewusste Entscheidung zugrunde lag oder nicht, ist hierfür irrelevant. Männer werden nicht so eindeutig darauf verwiesen, die Ernährerrolle zu übernehmen. Vielmehr findet der Großteil der interviewten Studenten mit ihren Partnerinnen eigene Elternschaftsarrangements die sich mehr oder weniger an Prinzipien der Geschlechtergerechtigkeit ausrichten. Selbst für studierende Eltern, die sich an klassischen Modellen der Arbeitsteilung orientieren, stellt das Studium zumindest einen Zeitraum für episodische Abweichungen von tradierten Elternschaftspositionen dar. Das Studium, so Wehner, setzt nicht alle Reproduktionsmechanismen von Geschlechterdifferenz und -ungleichheit außer Kraft. Es ermöglicht aber, so Wehner weiter, einen freiheitlicheren Umgang mit tradierten Effekten von Elternschaft, wenn dies gewünscht wird.
Wehner, Nina: Familiengründung im Studium. Eine Chance für geschlechtergerechte Elternschaft? Opladen et.al. 2012.