Dass Frauen und Männer im betrieblichen Alltag selbstverständlich gleich behandelt werden, ist inzwischen gängiges Motiv. Häufig wird mit ihm die Notwendigkeit organisationaler Maßnahmen zur Förderung von Gleichstellung und Chancengerechtigkeit in Frage gestellt und negiert. Diese Einschätzung impliziert jedoch häufig eine Vielzahl blinder Flecken in der Wahrnehmung gleichwohl bestehender Ungleichheit. Gleichzeitig wird die notwendige Auseinandersetzung mit Ungleichheit stiftender Mechanismen, die im Vor- und Unterbewussten angesiedelt sind, erschwert. Hier setzt die neue Arbeit von Gertraude Krell, Renate Ortlieb und Barbara Sieben an.
Die Autorinnen entziehen dem Zweifel an der Notwendigkeit, sich mit Ungleichheit stiftenden Mechanismen auch im betrieblichen Umfeld auseinandersetzen zu müssen, gleich einleitend den Boden. Solange nämlich, so die Argumentation, Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert und die Einkommensmöglichkeiten in typischen Frauenberufen auffallend geringer als in typischen Männerberufen mit vergleichbaren Qualifikationsanforderungen sind, besteht ungebrochener Handlungsbedarf.
Weil zeitgleich auch gilt, dass Personen mit Migrationshintergrund in Auswahlentscheidungen benachteiligt sind, erweitern Krell, Ortlieb und Sieben mit Einführung der Kategorie Herkunft die Diskussion um Gleichstellung in Kapitel eins um eine weitere diskriminierungsanfällige Dimension. Im weiteren Verlauf der Monografie kommen die Dimensionen Alter, soziale Herkunft, Religionszugehörigkeit, sexuelle Orientierung und Behinderung hinzu.
Kapitel zwei und drei resümieren die aktuellen Forschungserkenntnisse zu Geschlecht und Diversität und erläutern Prozesse der Gruppenbildung und sozialen Kategorisierung. Dabei machen die Autorinnen nachvollziehbar, wie sich dominante Gruppen konstituieren und wie Zugehörigkeit und Ausgrenzung definiert, kommuniziert und verfestigt werden.
Die Autorinnen gehen auf die wichtigsten Ansätze zur Erklärung geschlechtsbezogener Ungleichheit ein, nicht ohne zu versäumen auf die neuen Tendenzen einer Re-Naturalisierung des Geschlechts hinzuweisen. Sie plausibilisieren die Betrachtung der Organisation als Gendered Regime. Die Leugnung einer nach wie vor bestehenden Benachteiligung von Frauen erklären sie mit einer neuen Form des Sexismus.
Kapitel drei untersucht Umfang und Art, in dem die unterschiedlichen Diversitätsdimensionen in der Personalarbeit berücksichtigt werden. Kapitel vier setzt sich mit dem ökonomischen Nutzen auseinander, den Gender- und Diversity-Konzepte für Organisationen haben. Dabei kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass weder die Erhöhung von Frauenquoten noch die Diversität in Teams automatisch positive ökonomische Effekte erzielen. Denn allzu oft, so die Argumentation weiter, werden alte Stereotype durch neue ersetzt, womit erwartbar wenig positive Veränderung einhergeht. Insbesondere problematisieren Krell, Ortblieb und Sauer die Praxis, im Zusammenhang mit möglichen Wettbewerbsvorteile vermeintlich besondere Potenziale von Frauen, jüngerer bzw. älterer Beschäftigter zu betonen.
Kritisch sehen die Autorinnen auch die aktuelle Diskussion um das Verhältnis von gleichstellungspolitisch motivierter Frauenförderung einerseits und ökonomisch motiviertem Gender-/Diversity-Management andererseits. So können sie nicht feststellen, dass es eine Rolle spiele, ob Gender-/Diversity-Konzepte durch Wettbewerbsvorteile oder Anti-Diskriminierung initiiert werden. Weder seien die Ausgestaltung von Gender-/Diversity-Konzepten noch die ökonomischen oder gleichstellungspolitischen Effekte durch das Motiv ihrer Einführung vorbestimmt.
Mit Kapitel fünf und sechs stellen die Autorinnen konkrete Gender- und Diversity-Konzepte, deren Entwicklungsgeschichten, Gegenstandsbereiche und praktische Umsetzung vor. Im Kapitel Gender-bezogene Managementkonzepte erfahren die Leser*innen nach einem historischen Überblick alles Wissenswerte über Frauenförderung, Frauenpolitik und Gender Mainstreaming. Krell, Ortlieb und Sieben schätzen insbesondere letzteres als weiterhin zukunftsfähiges Konzept ein. Sein Vorteil liege vor allem darin, Gender konsequent als interdependente Kategorie zu behandeln und auf die verschiedenartigen Ungleichheiten auch innerhalb einer sozialen Kategorie zu reagieren.
Auch Kapitel sechs beginnt mit der Darstellung historischer Entstehungszusammenhänge und geht dann ausführlich auf Diversity Management als Konzept ein und erläutert unterschiedliche Umsetzungsstrategien. In Kapitel sechs arbeiten die Autorinnen heraus, dass Chancengerechtigkeit nur dann verbessert werden kann, wenn die relevanten Dominanzverhältnisse und die strukturellen Rahmenbedingungen in den Blick genommen und entsprechend verändert werden. Dass dies letztlich auch Voraussetzung für das Erreichen damit verbundener ökonomischer Ziele darstellt, wird in den folgenden Ausführungen deutlich.
Mit der vorliegenden Monografie ist den Autorinnen ein weiteres Grundlagenwerk gelungen. Es schließt an die wegweisenden Werke von Gertraude Krell zur betrieblichen Chancengleichheitspolitik an. Renate Ortlieb und Barbara Sieben haben die Veröffentlichung nach Gertraude Krells Tod 2016 fertig gestellt. Wie die früheren Auflagen des Klassikers „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ richtet sich auch diese Arbeit an Studierende, Forschende und Praktiker*innen. Sie vermittelt Grundlagenwissen und liefert das notwendige theoretische und praktische Rüstzeug für ein geschlechter- und diversitätsgerechtes Personalmanagement.
Krell, Gertraude, Ortlieb, Renate, Sieben, Barbara (2018): Gender und Diversity in Organisationen. Grundlegendes zur Chancengleichheit durch Personalpolitik. Wiesbaden: Springer Gabler.