100 Jahre Frauenwahlrecht haben wir in diesem Jahr wohl eher zur Kenntnis genommen als gefeiert. Das Historische Museum Frankfurt allerdings hat dem Jubiliäum eine große Schau gewidmet und dazu einen prachtvollen und großformatigen Katalog herausgegeben. Durch Inhalt und Aufmachung macht er begreifbar, welch tiefgreifenden Einschnitt die Einführung des Stimmrechts für Frauen bis heute darstellt. Zugleich ordnet er das singuläre historische Moment in eine breiter angelegte Geschichte der Frauenemanzipation ein.
Die allmähliche Befreiung des weiblichen Körpers von Korsett und bodenlangen Kleidern, das Infragestellen der Rolle als Frau und Mutter, der mühsam beschrittene Weg zur Künstlerin, Meisterin, Wissenschaftlerin, die Vernetzung untereinander, die Wahrnehmung des politischen Mandats, all dies lässt sich anhand der Abbildungen der stimmig ausgewählten Exponate ganz wunderbar nachvollziehen. Sorgfältig dokumentiert der Ausstellungsband den politischen Kampf der Frauen für Reformen, der kaum einen Lebensbereich ausließ.
Der Katalog führt durch die Chronologie, über die Anfänge im Kaiserreich, die erste deutsche Frauenbewegung zum ersten Weltkrieg und zur Revolution, zur Wahl 1919, zur Frauenpolitik in der Weimarer Republik und gewährt Einblicke in die Situation in den beiden deutschen Staaten nach 1945 bis heute. Biografische Fenster erzählen die Geschichten vieler Frauen, die sich gesellschaftlich und politisch engagiert und gekämpft haben.
Oft genug sind es Geschichten abseits des Mainstreams, von Frauen, die sich hochgearbeitet oder ihren vorgezeichneten Weg verlassen haben, die Frauen liebten oder Geliebte hatten, sich im Beruf oder als Künstlerin verwirklicht haben, die proletarisch, evangelisch, jüdisch, intellektuell, bürgerlich, Sozialistinnen, Sozialdemokratinnen, Liberale, Konservative waren, die solidarisch waren und zuweilen radikal und sich immer gegen die Dominanz von Männern behaupteten. Als Role Model taugen sie alle. Bekannte Frauen sind dabei wie Clara Zetkin, Rosa Luxemburg und Käthe Kollwitz. Und viele in Vergessenheit geratene, deren Lebenswege und -werke neu entdeckt werden wollen.
Auf dem plakativ in Rot- und Magentatönen gehaltenen Cover des Katalogs ist eine Frau abgebildet, eine energische Rednerin, die vor einer großen Menschenmenge spricht. Es ist Marie Juchacz. Sie ist die erste weibliche Abgeordnete, die vor einem deutschen Parlament eine Rede hielt, eine engagierte Sozialpolitikerin aus einer Handwerkerfamilie, alleinerziehende und berufstätige Mutter. Sie ist eine der Gründerinnen der Arbeiterwohlfahrt (AWO), später Exilantin in New York und bis zu ihrem Lebensende der Frauenbewegung und natürlich der AWO eng verbunden. Das klingt spannend und ist es auch, wenn man sich intensiver mit ihrer Person und ihrer Politik beschäftigt.
Unbedingt zur Hand nehmen und verschenken: Dorothee Linnemann (Hg.) (2018): Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht, Societäts-Verlag.